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Leaders to Watch 2023
Jedes Jahr zeichnen wir aufstrebende soziale Innovatoren aus, die sich den dringendsten Herausforderungen unserer Zeit stellen. Von sozialem Engagement bis hin zur Entwicklung KI-gestützter Lösungen – diese Leader bewegen etwas in ihrem jeweiligen Bereich und arbeiten an einer besseren Zukunft für alle.
Adenike Adeyemi
Neue Impulse für Nigerias Unternehmenskultur
Mit Freundlichkeit, aufrichtigem Interesse und Hilfsbereitschaft setzt Adenike Adeyemi als Executive Director der FATE Foundation alles daran, kleine und aufstrebende Unternehmen zu unterstützen. Sie kann so ihre Leidenschaft für die Geschäftswelt und ihr soziales Engagement perfekt miteinander verbinden.
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Solange sie denken kann, hat es Adenike Adeyemi geschafft, mit Menschen aus verschiedensten Verhältnissen Kontakte zu knüpfen. Sie glaubt, dass diese Fähigkeit zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass sie einen Yoruba-Vater und eine Mutter mit sierra-leonischen und Efik-Wurzeln hat. „Mein multiethnischer Hintergrund hat es mir bewusster gemacht, dass es eine Welt außerhalb unserer lokalen Strukturen gibt.“
Als sie in den südwestlichen Bundesstaat Oyo zog, um ein staatliches Mädcheninternat zu besuchen, wurde ihr Umfeld noch vielfältiger. „Es war ein Schmelztiegel, in dem viele meiner Mitschülerinnen einen völlig anderen sozialen, ethnischen, finanziellen und religiösen Hintergrund hatten.“ Diese frühen Erfahrungen haben ihr gezeigt, dass man auch mit auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Menschen eine gemeinsame Basis finden kann. „Wir sind alle Menschen, und es gibt immer etwas, das dich mit den anderen verbindet.“
Entdeckung der Nonprofit-Community
Adenikes Wertschätzung für Netzwerke und die Community entwickelte sich während ihrer Studienzeit und danach, als sie im Rahmen des Nigerian National Youth Service Corps (NYSC) begann, bei Nonprofit-Organisationen zu arbeiten. Das NYSC ist ein Programm der nigerianischen Regierung, das Studienabgänger zur Mitarbeit in nationalen Entwicklungsprojekten verpflichtet. Etwa zu der Zeit, als Adenike nach einem Praktikumsplatz im Rahmen ihres NYSC-Dienstes suchte, berichtete ihr Onkel von einer Stelle bei einer Nonprofit-Organisation namens West African NGO Network (WANGONet).
„Für mich war es entscheidend zu sehen, welche Rolle die Technologie spielt, wenn es darum geht, Menschen Ressourcen zu vermitteln und Wissen zu demokratisieren.“
Damals bestand die Arbeit von WANGONet darin, Webseiten für andere Nonprofit-Organisationen zu erstellen und sie in der Nutzung grundlegender Softwaretools zu schulen, damit sie Partner, ehrenamtliche Mitarbeiter und Geldgeber finden können. Es war eine interessante Aufgabe, die sich allerdings von der Arbeit unterschied, die andere in ihrem Umfeld anstrebten. „Ich verdiente in jenem Jahr einen Bruchteil von dem, was meine Freunde verdienten. Aber ich verband Menschen durch Wissen, Informationen und Technologie. Und ich hatte eine eigene E-Mail-Adresse – ich war sehr stolz.“
Zusätzlich zu ihrer E-Mail-Adresse bekam sie bei WANGONet allerdings auch noch etwas anderes: Sie lernte, wie man mit der Kombination aus Technologie und Informationen Menschen helfen kann. „Für mich war es entscheidend zu sehen, welche Rolle die Technologie spielt, wenn es darum geht, Menschen Ressourcen zu vermitteln und Wissen zu demokratisieren. Ich erkannte, dass wir Organisationen die Möglichkeit zur Expansion geben können, indem wir ihnen Zugang und Wissen vermitteln.“
Gründen, ausbauen, skalieren
Heute ist Adenike Executive Director der FATE Foundation, Nigerias bekanntestem Inkubator- und Accelerator-Programm, das die Gründung, den Ausbau und die Skalierung von Unternehmen fördert. Das Angebot reicht von Kursen und Veranstaltungen bis hin zu Informationen und finanzieller Unterstützung – alles mit dem Ziel, das Potenzial der nigerianischen Unternehmerkultur auszuschöpfen. „Wir glauben, dass kleine und aufstrebende Unternehmen die Nation stärken. In Nigeria schaffen sie etwa 80 % der Arbeitsplätze und tragen trotz eines sehr schwierigen makroökonomischen Umfelds fast 50 % zum BIP bei.“
In Bezug auf das weitere wirtschaftliche Umfeld hat Adenike erkannt, dass sich FATE auch mit der Gesetzgebung befassen muss. „Wir können unsere Unternehmer nicht außerhalb der bestehenden politischen Vorgaben unterstützen. Deshalb geht es für mich auch darum, die politischen Entscheidungsträger mit umsetzbaren Informationen zu versorgen.“ Mit diesem Ziel vor Augen erstellt FATE Berichte zum Stand des Unternehmertums in Nigeria mit einer Fülle von aussagekräftigen Daten, die für politische Entscheidungsträger relevant sind.
Da die Zielgruppe schnell wächst, ist es für Adenike wichtig, dass FATE bei der Interaktion mit den Programmteilnehmern empathisch bleibt und sich auf durchdachte digitale Angebote konzentriert. Als FATE vor über 20 Jahren gegründet wurde, wurde noch vieles von Hand erledigt. Der Gründer selbst traf einzelne Unternehmer und vermittelte persönliche Kontakte oder Informationen. Heute erreichen die Programme der Stiftung über 245.000 Unternehmer in 31 Staaten. Der Erfolg hat dazu geführt, dass manuelle Prozesse nicht mehr dauerhaft realisierbar sind. FATE legt aber nach wie vor Wert auf individuelle Kontakte, deshalb haben Adenike und ihr Team neue digitale Tools für die Community entwickelt. „Ich möchte den gesamten bisherigen Weg aller Unternehmer im Blick behalten und ihre Erfahrungen nachvollziehen. Und vor allem wollen wir sie mit den richtigen Personen oder Ressourcen in Kontakt bringen.“
Verbindungen knüpfen
Adenike denkt unkonventionell und langfristig – sie plant, FATE zu erweitern, Unternehmer zu unterstützen und Einfluss auf die Politik zu nehmen. Für sie gibt es kein Problem, das zu groß wäre, um etwas dagegen zu unternehmen. „Selbst eine Woche kann das Leben eines Unternehmers entscheidend beeinflussen – ein einziges Aha-Erlebnis kann ein Unternehmen grundlegend verändern.“
Diese Tatsache ist ihr Antrieb, aber sie weist zugleich darauf hin, dass sie alleine nichts erreichen würde. „Ich kann meine Träume, meine Motivation, meine Inspiration und meine Begeisterung einbringen, aber ohne ein engagiertes Team stünde ich auf verlorenem Posten.“
„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir immer nur eine Person von Informationen entfernt sind, die jemand anderes braucht, um erfolgreich zu sein.“
Trotz ihres umfangreichen Wissens und ihrer Erfahrung ist sich Adenike darüber im Klaren, dass sie nie alle Antworten oder alle Ressourcen liefern kann. Sie sagt: „Aber ich kenne wahrscheinlich jemanden, der eine Verbindung herstellen kann, bzw. jemanden, der eine solche Person kennt.“ So gibt sie anderen Menschen Impulse, neue Verbindungen zu knüpfen und ihre Unternehmen voranzubringen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir immer nur eine Person von Informationen entfernt sind, die jemand anderes braucht, um erfolgreich zu sein.“
Fotos von Taiwo Aina
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Angela Siefer
Digitale Teilhabe erreichen – Community für Community
Angela Siefer hat den unstillbaren Drang, etwas in der Welt zu bewirken – das war schon immer so. Als Leiterin der National Digital Inclusion Alliance, einer Organisation, die sich für die digitale Teilhabe einsetzt, gibt sie heute entscheidende Impulse für Veränderungen. Sie arbeitet mit über tausend Mitgliedsorganisationen zusammen, um die Anliegen im lokalen Umfeld zu verstehen und die Politik auf nationaler Ebene zu gestalten.
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Angela Siefer wollte schon immer die Welt verbessern. Sie wusste nur nicht, wie sie das anstellen sollte. Sie wuchs in Lima, einer Stadt im US-Bundesstaat Ohio, in einer Mittelklassefamilie auf und war die erste Person in ihrer Familie, die zur Universität ging. Sie studierte an der University of Toledo Soziologie – zugegebenermaßen, weil sie nicht wusste, was sie sonst studieren sollte: „Viele Menschen haben feste Zukunftspläne. Bei mir war das einfach nicht so.“ Auch wenn sie sich anfangs nicht sicher war, welchen Weg sie einschlagen sollte, brachten sie ihre ausgeprägten sozialen Werte und ihre Beharrlichkeit weiter.
Im Laufe der Zeit wurde sie sich des ständig größer werdenden Problems der digitalen Ungleichheit bewusst. Während ihres Studiums untersuchte sie, wie die Universität das lokale Umfeld besser unterstützen könnte. Im Zuge von Umfragen und Gesprächen in der Gemeinde wurde deutlich, dass der Zugang zu und das Verständnis von Technologie wichtige Schwachpunkte waren. „Ich glaube, so habe ich letztendlich meinen Weg gefunden – indem ich Menschen zugehört habe.“
Wie sie ihre Berufung fand
Kurz nach ihrem Studienabschluss brachte sie ihr Wissen ein, um das Ohio Community Computing Network (OCCN) zu leiten – eine Organisation, die in Zeiten des digitalen Wandels entstand und Lösungen für die wachsende Zahl von Menschen anbot, die hier Orientierungshilfe benötigten. Damals wurde dieses Gebiet noch als Community Technology bezeichnet, heute nennen wir es digitale Inklusion.
„Das OCCN entstand, weil ein Anwalt der Rechtshilfe die Public Utilities Commission of Ohio davon überzeugte, dass der Zugang zu Technologie und deren Nutzung durch die Gemeinschaft finanziell unterstützt werden sollte.“ Ihr stellte sich nun die Frage: Woher können wir das Geld erhalten, um diese drängenden Probleme zu lösen? Auch heute noch widmet sie diesem Anliegen ihre ganze Tatkraft. Seit ihren Anfängen beim OCCN hat Angela entscheidend zur Beschaffung von Milliarden US-Dollar beigetragen, um die digitale Chancengleichheit voranzubringen.
„Digitale Ungleichheit ist im Grunde ein menschliches Problem und wir brauchen Menschen, um es zu lösen.“
Ihre Kompetenz gab ihr in jenen Tagen jedoch kaum Sicherheit. Sie erinnert sich daran, wie nervenaufreibend es anfangs manchmal war, mit politischen Entscheidungsträgern in Washington über Fragen der digitalen Teilhabe zu sprechen. „Das war für mich etwas ganz Neues und ich spürte danach noch immer den enormen Druck auf meinen Schultern. Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen.“
Heute tritt sie selbstbewusster auf. „Ich habe jetzt eine Sicherheit, die ich damals nicht hatte. Ich kann sagen: ‚So sieht es bei den lokalen Programmen für digitale Chancengleichheit aus und das brauchen sie‘. Und wenn ich es oft genug sage, hören die Leute manchmal auch zu.“
Ein ganzheitlicher Ansatz für digitale Teilhabe
Heute leitet Angela die National Digital Inclusion Alliance (NDIA), eine Nonprofit-Organisation, die sie 2015 gegründet hat. Sie und andere Akteure in diesem Bereich hatten erkannt, dass die wachsende Bewegung für digitale Chancengleichheit eine eigene Anlaufstelle benötigte, um Best Practices zu entwickeln und eine Community aufzubauen. „Es erschien ziemlich gewagt, aber wir sahen, dass die Menschen vor Ort einfach mehr Ressourcen benötigten.“ Die NDIA ist somit Angelas ganzheitliches Projekt für digitale Inklusion, dessen Ziele ein verfügbarer und erschwinglicher Zugang zum Internet und zu Geräten sowie digitales Know-how und technischer Support sind.
In den letzten acht Jahren – insbesondere seit der Coronakrise – ist die NDIA stark gewachsen und arbeitet mittlerweile mit über tausend Mitgliedsorganisationen zusammen. Gemeinsam haben sie Erstaunliches geleistet. Zu ihren jüngsten Erfolgen gehören die Entwicklung von Standarddefinitionen für Begriffe wie „digital inclusion“ (digitale Inklusion) und „digital equity“ (digitale Teilhabe) in der amerikanischen Gesetzgebung und die Ausweitung der Öffentlichkeitsarbeit. „Eine unserer größten Leistungen war die Bereitstellung von 2,75 Milliarden US-Dollar für den Digital Equity Act von 2021.“
Angelas Einstellung prägt die NDIA maßgeblich: Die Organisation ist ständig auf der Suche nach Personengruppen, die in unserer digitalen Welt den Anschluss verlieren könnten. Auch wenn die Hürden für digitales Wissen und digitale Tools grundsätzlich die gleichen sind, meint Angela: „Es kommt auf die Details an – diese wirken sich nicht nur auf unser Verständnis von bestimmten Problemen aus, sondern auch darauf, wie wir die besten Lösungen finden.“ In letzter Zeit wurde die Unterstützung auf ländliche und indigene Gruppen ausgeweitet. Wenn wir uns auf die spezifischen Situationen konzentrieren, kann die NDIA auch umfassendere Erkenntnisse gewinnen.
Nachhaltige Lösungen
Aus einem breiteren Blickwinkel betrachtet geht es bei Angelas Zielen für die Zukunft um nationale, nachhaltige Lösungen. Die nächste Herausforderung besteht darin, die digitale Teilhabe langfristig zu sichern. „Wir brauchen ständig Zuschüsse für die Breitbandversorgung von Haushalten, wir brauchen kontinuierlich Schulungen für digitales Know-how, wir brauchen digitale Handbücher und auch der technische Support muss aufrechterhalten werden. Ohne die entsprechenden finanziellen Mittel können wir das nicht schaffen.“
Digitale Teilhabe wirkt sich auf alle Bereiche aus: „auf unsere Wirtschaft, unsere Sozialsysteme, unser ganzes Land“. Dabei sollte man laut Angela nicht vergessen, dass „digitale Ungleichheit im Grunde ein menschliches Problem ist und wir Menschen brauchen, um es zu lösen“. Es müssen Menschen sein, die geduldig, entschlossen und aufgeschlossen sind und selbstverständlich über die nötigen Informationen und Ressourcen verfügen, um Menschen zu helfen.
Angela ist ihrer liebevollen Familie, die sie bedingungslos unterstützt, und der immer größer werdenden NDIA-Community zutiefst dankbar. „Ich bin immer wieder begeistert, wie sich Mitglieder der NDIA-Community die Zeit nehmen, ihre Erfahrung mit neuen Mitarbeitern zu teilen.“ Seit Angela die NDIA gegründet und diese Community ins Leben gerufen hat, wächst die Bewegung für digitale Teilhabe weiter. Ihre Stärke verdankt sie laut Angela den Menschen, den „Helden“ im ganzen Land, die gemeinsam die digitale Gleichberechtigung vorantreiben. „Die Menschen in meinem Umfeld geben mir Kraft – ich tue das nicht für mich. Ich tue das für sie.“
Fotos von Leonardo Carrizo und Mike Sanchez
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Anthony Babkine
Alleine hat niemand Erfolg
Charisma und Energie – durch diese beiden Eigenschaften schafft Anthony Babkine es, den Traum von der Chancengleichheit in der Technologiebranche in die Tat umzusetzen. Als Mitbegründer und CEO von Diversidays arbeitet er daran, dass dieser Traum im digitalen Sektor Frankreichs Realität wird. Die Förderung junger Talente und das Hinterfragen von Stereotypen gehören für diesen Leader untrennbar zusammen und bedingen sich gegenseitig.
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Anthony Babkine kam frühzeitig in seiner Karriere an einen Wendepunkt. Nachdem er einige Jahre lang auf der Überholspur unterwegs war, sah er die Vorstandsetage mit neuem Blick und erkannte, dass er dort nicht wirklich hingehörte.
Anthony wuchs in Évry-Courcouronnes auf, einem Vorort 25 Kilometer südlich von Paris – einer der jüngsten Städte Frankreichs und Heimat unzähliger verschiedener Kulturen. „Als ich 15 war, hatte ich den Eindruck, ich hätte schon drei- oder viermal eine Weltreise gemacht.“ Auch wenn es ihm damals noch nicht klar war: Die Diversität von Évry war eine seiner größten Stärken. „Ich weiß jetzt, dass meine Jugendjahre in diesem diversen kulturellen und ethnischen Umfeld meine Persönlichkeit bereichert haben. Allerdings habe ich lange gebraucht, um das zu verstehen.“
Er erinnert sich daran, dass er in seiner Schulzeit trotz seiner schnellen Auffassungsgabe Schwierigkeiten hatte, weil er unter dem Hochstapler-Syndrom litt. Es gab aber Menschen, die ihm halfen, diese Phase durchzustehen. „Meine Mutter nahm sich frei, eine örtliche Nonprofit-Organisation half mir mit Nachhilfeunterricht und Lehrkräfte machten Überstunden, um mich zu betreuen. Alleine hätte ich es nicht geschafft.“
Ein neuer Weg
Als er seine Laufbahn bei einer der größten Werbeagenturen Frankreichs begann, war sein digitales Know-how von entscheidender Bedeutung. „Zu dieser Zeit wurden die sozialen Medien immer wichtiger und französische Unternehmen brauchten Strategien für eine optimale Präsentation ihrer Marke auf diesen neuen Plattformen.“ Anthonys Einstellung, Talent und harte Arbeit brachten ihn schnell nach oben: „Ich wurde in den Vorstand aufgenommen und übernahm eine Funktion im Nachwuchsprogramm, aber ich stellte fest, dass Diversität zu kurz kam.“
„Es begann mit der Erkenntnis, dass meine größte Stärke von dort kommt, wo ich aufgewachsen bin, und von der diversen Community, der ich angehöre.“
Es gab kein diverses Team, keine Richtlinien für mehr Inklusion und keine gute Unternehmenskultur. Deshalb wurde Anthony klar, dass er einen anderen Weg einschlagen musste. „Ja, ich bekam ein tolles Gehalt, ich hatte Karriere gemacht und viel Zeit investiert, um dorthin zu kommen, aber letztendlich konnte ich dort einfach nicht bleiben.“ Die Situation machte ihm bewusst, was wirklich wichtig für ihn war, und er wollte diese Werte in die Tat umsetzen. „Man kann sich ständig ärgern oder aber etwas unternehmen. Ich wusste zwar nicht, wo ich anfangen sollte oder wie ich es anstellen sollte, aber ich wusste, dass ich handeln musste.“
Er war an einem entscheidenden Wendepunkt angelangt. „Es begann mit der Erkenntnis, dass meine größte Stärke von dort kommt, wo ich aufgewachsen bin, und von der diversen Community, der ich angehöre.“
Der Aufbau von Diversidays
2017 gründete Anthony zusammen mit seiner guten Freundin und langjährigen Mitarbeiterin Mounira Hamdi das Unternehmen Diversidays, „eine Nonprofit-Organisation, die Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund dabei hilft, ihren Platz in der wachsenden digitalen Branche zu finden.“ Dort gibt es im Rahmen von drei Programmen Weiterbildungs- Informations-, Beratungs- und weitere Angebote für Einzelpersonen und Unternehmen.
Ihr Leadership-Programm hilft bei der Unternehmensgründung, und die Bildungsinitiative Digital Clicks bietet die Möglichkeit der Umschulung für den Erwerb digitalen Know-hows. Tech Your Place richtet sich schließlich an Technologieunternehmen, die wissen möchten, wie sie ihre Diversitäts- und Inklusionsrichtlinien weiterentwickeln können. „Seit dem Start von Diversidays haben wir mehr als 9.000 Personen durch diese Programme geholfen, ihre spezifischen Herausforderungen zu meistern, mehr Zuversicht zu haben und an sich selbst zu glauben.“
Es ist offensichtlich, dass diese Arbeit Erfolg hat. Anthony spricht mit Stolz über die jüngste Initiative, die mehr Unternehmen dazu bringen soll, Diversität und Inklusion von Anfang an zu priorisieren. „Unser größter Erfolg ist, dass wir zwölf der größten Venture-Capital-Firmen dazu bewegen konnten, Diversitäts-, Gleichstellungs- und Inklusionsrichtlinien in ihre Investitionspakete aufzunehmen.“ Auf diese Weise hängt der Erhalt von Geldern aus einem dieser Fonds von den Diversitätsstrategien des jeweiligen Unternehmens ab.
Ein pragmatischer Träumer
Realismus und Pragmatismus sind wesentliche Kennzeichen nicht nur von Anthonys Arbeit, sondern auch von seiner Persönlichkeit. „Ich glaube, wenn du die Situation in einer Branche verändern willst, insbesondere in der Technologiebranche, musst du ehrgeizig und vielleicht auch ein bisschen verrückt sein, aber vor allem pragmatisch vorgehen.“ Ihm geht es dabei um soziales Engagement: „Letztes Jahr haben wir eine Studie durchgeführt, aus der hervorging, dass 39 % der neuen Mitarbeiter während ihrer Einarbeitung in Technologieunternehmen diskriminiert wurden.“ Solche Studien treiben Veränderungen voran, weil sie ein genaues Bild der aktuellen Situation vermitteln.
„Für mich kommt es darauf an, dass wir wirklich genau ermitteln, was wir tun und wie Unternehmen handeln – Social-Washing soll vermieden werden. Man kann leicht behaupten: ‚Wir wollen inklusiver werden‘, aber wesentlich schwieriger wird es, wenn man definieren will, was das genau bedeutet und wie die Erfüllung eines solchen Anspruchs gemessen werden soll.”
Glücklicherweise ist harte Arbeit für Anthony kein Fremdwort. Allerdings räumt er ein: „Diese Ungleichbehandlung gibt es in Frankreich seit Jahrzehnten und sie ist tief verwurzelt. Obwohl unsere Überzeugungen stark sind und wir echte Veränderungen feststellen – eine kollektive Bemühung, Ungerechtigkeit zu beseitigen – kann es manchmal ganz schön frustrierend sein.“ Woher nimmt er also seine Motivation?
Hier verweist Anthony wieder auf die Bemühungen und Erfolge der Menschen um ihn herum. Auf der einen Seite erhält er viel Feedback von den Teilnehmern an seinen Programmen: „Wenn ich höre, dass wir jemandem die Ressourcen oder das Selbstvertrauen gegeben haben, um etwas zu erreichen, merke ich, dass wir etwas bewirken.“ Auf der anderen Seite stellt er das Engagement der über 200 ehrenamtlichen Helfer bei Diversidays heraus: „Das Wertvollste, was wir in Nonprofit-Organisationen haben, sind Ehrenamtliche und Menschen, die einfach nur helfen wollen. Das sind Menschen, die davon überzeugt sind, dass ein Paradigmenwechsel möglich ist.“
Sein Motto bringt diese Erkenntnisse auf den Punkt: „Alleine hat niemand Erfolg.“
Fotos von Yamandu Roos
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Bourhan Yassin
KI und die Macht des Zuhörens für den Schutz der Artenvielfalt
Die Erde wird wahrscheinlich niemals wieder so klingen, wie sie es heute tut. Als CEO von Rainforest Connection kennt Bourhan Yassin den Wert und die Macht des Zuhörens im Kampf gegen den Klimawandel und den Verlust der Artenvielfalt. Seine Ambitionen waren schon groß, bevor er es zu seiner Aufgabe machte, die Wälder unserer Welt zu erhalten.
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Weit entfernt von den Regenwäldern, in denen er heute arbeitet, wuchs Bourhan Yassin im Libanon während des Bürgerkriegs auf, der von 1975 bis 1990 dauerte. In seiner Kindheit war es für ihn normal, sich zwischen Luftschutzbunkern zu bewegen, aber das hielt ihn nicht davon ab, von seiner Zukunft zu träumen. Angetrieben von seiner Begeisterung für Technik beschloss er um die Jahrtausendwende, den Libanon zu verlassen und in den USA zu studieren.
An der Bay Area mit ihrer boomenden Technologiebranche liebte er die kulturelle Vielfalt und die Chancen, die sich ihm hier boten. „Bei Startups und kleinen Unternehmen fühlte ich mich wohl, weil ich dort viel bewegen und mich ausprobieren konnte.“
„Es war an der Zeit für mich, etwas zu tun, auf das ich stolz sein konnte, etwas, das einem höheren Ziel diente.“
Er arbeitete sich in einigen Technologieunternehmen hoch, bevor er 2014 nach Dubai zog und dort sein eigenes Unternehmen mitgründete. „Es war eine Modefirma. Das sieht man mir vermutlich nicht an – ich bin kein modebewusster Mensch. Aber das Unternehmen war erfolgreich.“ Doch schon bald „hatte ich keine Lust mehr, immer nur den Umsatz und den Gewinn zu optimieren“, sagt Bourhan. „Es war an der Zeit für mich, etwas zu tun, auf das ich stolz sein konnte, etwas, das einem höheren Ziel diente.“
Ein neues Ziel
Obwohl er sich nach einer sinnvolleren Arbeit sehnte, war die Welt der Nonprofit-Organisationen nicht unbedingt die erste Wahl für Bourhan. „Ich hatte Nonprofit-Organisationen immer als eher politisch ausgerichtete Organisationen gesehen, die sich vor allem auf soziale Veränderungen konzentrieren.“ Seine Meinung änderte sich, als er zum ersten Mal von Rainforest Connection hörte – einer Nonprofit-Organisation, die mit Technologie arbeitet. Sie nutzen akustische Überwachungssysteme, um illegalen Aktivitäten in geschützten Wäldern in Echtzeit Einhalt zu gebieten und bei laufenden und zukünftigen Umweltschutzmaßnahmen zu helfen.
Damals waren sie ein sehr kleines Team und brauchten sowohl einen Entwickler als auch jemanden mit Management- und Betriebserfahrung. Obwohl die Stelle wie geschaffen für ihn schien, brauchte Bourhan einige Zeit, um seine früheren Ansichten über Nonprofit-Organisationen zu ändern. „Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass dieser neue Weg zu einem komplett anderen Ziel führte – ein aufregenderes und bedeutungsvolleres Ziel als das, das ich mir zuvor gesetzt hatte.“
Bourhan begann damit, die Erfahrungen aus seiner vergangenen Karriere für die Zukunft des Unternehmens zu nutzen. „Früher habe ich daran gearbeitet, Werte für Investoren zu schaffen, aber jetzt passe ich diese Strategie an unsere Ziele an und versuche, mit ihr unsere größten Probleme zu lösen.“ Von seinem Startup-Hintergrund kombiniert mit den zielgerichteten Bemühungen einer Nonprofit-Organisation hat Rainforest Connection in Bezug auf sein Team, seine Partnerschaften und nicht zuletzt seinen Erfolg stark profitiert.
Geräusche sind eine einzigartige Möglichkeit, unsere Umwelt zu verstehen, weil das Hören nicht auf eine einzige Richtung beschränkt ist.
Das Guardian-Gerät
Rainforest Connection leistet einen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel, indem es einen unserer angeborenen menschlichen Sinne mithilfe von KI verstärkt. „Mit unserem Gehör haben wir eine einzigartige Möglichkeit, unsere Umwelt zu verstehen. Unsere Augen haben zwar ein erstaunliches Sichtfeld, aber wir können immer nur in eine bestimmte Richtung sehen. Wenn es darum geht, Dinge aus der Ferne zu erkennen, ist das Hören der beste Sinn, der uns zur Verfügung steht.“
Das Guardian-Gerät dient als „Ohr“ von Rainforest Connection im Regenwald. „Es ist ein Mini-Computer, der in einer Baumkrone platziert wird und rund um die Uhr die Geräusche des Waldes aufzeichnet.“ Bourhan erklärt, dass diese Art der Überwachung der beste Weg ist, um illegalen Holzeinschlag oder Wilderei in Echtzeit aufzudecken. „In Ländern wie Indonesien und Brasilien ist die Abholzung für 70 bis 80 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wenn wir in der Lage sind, illegale Aktivitäten zu erkennen, örtlich zu bestimmen und sofort die Behörden zu alarmieren, können wir sie stoppen, noch bevor der Schaden entstanden ist.“
Mit künstlicher Intelligenz wirklich etwas bewirken
Das Aufdecken illegaler Aktivitäten ist jedoch nur ein kleiner Teil des Puzzles. „Egal, wie viele Anomalien wir entdecken – wenn wir die Gesundheit und Artenvielfalt des Regenwaldes nicht erhalten, wird er zugrunde gehen.“ Bourhan und sein Team bei Rainforest Connection setzen ihre KI-Modelle ein, um die Natur zu schützen und die Artenvielfalt zu bewahren. „Wenn es darum geht, sehr große Datenmengen zu synthetisieren, ist KI sehr wichtig, denn sie kann einen Prozess, der sonst Monate dauern würde, auf Minuten verkürzen.“
Mit den Guardian-Geräten, die rund um die Uhr im Einsatz sind, zeichnet Rainforest Connection die Geräuschkulisse des Waldes auf. „Wir haben etwa 100 Millionen Aufnahmen, was einer einzigen ununterbrochenen Audio-Aufzeichnung von fast 190 Jahren entspricht. Ich glaube, das ist die bei Weitem größte Sammlung von Geräuschen der Welt, die je zusammengestellt wurde. Alle paar Tage kommen noch 1 bis 2 Millionen neue Aufnahmen hinzu.“
Die Datensätze von Rainforest Connection sind für jeden zugänglich, denn, wie Bourhan sagt, „die Wissenschaft wird durch große Datenmengen vorangetrieben“. Es geht darum, die Lücke zwischen Datenerhebung und Analyse zu schließen, weil sie den Umweltschutz häufig ausbremst. „Auf diese Weise können sich Wissenschaftler und Forscher auf die Auswertung konzentrieren, anstatt sich mit der Datenerfassung zu beschäftigen.“ Die Vereinfachung der Datenerhebung hat zum Beispiel staatlichen Behörden und Nonprofit-Organisationen in Puerto Rico, die die Plattform nutzen, dabei geholfen, den Zustand bestimmter Arten, Verwaltungspläne und die Auswahl neuer Gebiete zum Kauf und Schutz zu aktualisieren.
Dem Leben zuhören
Als ehrgeiziger Mensch hat Bourhan eine kühne Vision für die Zukunft von Rainforest Connection. „Irgendwann werden wir mit all diesen Daten in der Lage sein, zu klassifizieren, wie biologische Vielfalt auf der ganzen Welt aussieht. Anhand dieses Bildes können wir dann konkrete Maßnahmen empfehlen.“
Unsere Wälder sind schließlich eine wertvolle natürliche Ressource. „Sie stellen eine faszinierende Form von natürlicher Technologie dar. Es gibt keine menschliche Technologie, die CO₂ billiger und besser absorbiert als unsere Bäume, Böden und Wälder.“
Man wird sich ihrer Kraft bewusst, sobald man sie hört. „Die Geräuschkulisse im Regenwald ist wirklich erstaunlich und es ist beeindruckend, all den verschiedenen Arten von Lebewesen bei der Kommunikation zuzuhören. Wir müssen alles tun, um diesen Artenreichtum zu schützen.“
Fotos von Andrew Loehman und Rainforest Connection
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Carmen Correa
Auf dem Weg zur Geschlechtergleichheit
Carmen Correa hat nie daran gezweifelt, dass Frauen etwas bewirken können. Heute arbeitet sie als CEO von Pro Mujer, einem sozialen Unternehmen, das sich für die Geschlechtergerechtigkeit in Lateinamerika einsetzt. Es gibt noch viel zu tun, aber Carmen hat die Vision und die Leidenschaft, ihre Bemühungen auszuweiten und – in ihren eigenen Worten – „jede Frau zu erreichen“.
Lesedauer fünf Minuten
Carmen Correa hatte schon immer viele starke Frauen in ihrem Umfeld: „Frauen, die Grenzen überschritten, Stereotypen infrage stellten und – vor allem in meiner Familie – sich um andere kümmerten“. Rückblickend führt sie ihren Unternehmergeist und ihr Einfühlungsvermögen auf ihre Erziehung zurück.
Carmen wuchs auf dem Land im Bezirk Colonia in Uruguay auf, zog aber im Alter von sechs Jahren nach Montevideo, um dort zur Schule zu gehen. Dennoch reiste sie oft mit ihrem Vater, einem Agraringenieur, durchs Land. „So konnte ich Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen kennenlernen und etwas über ihre Lebensumstände erfahren.“
Carmens Optimismus ist ansteckend – sie hat die Gabe, andere zu ermutigen, und in ihrer Nähe fühlt man sich wohl. Sich großen Herausforderungen zu stellen, sagt Carmen, „ist nicht einfach und man muss proaktiv vorgehen. Aber man muss auch sehr optimistisch sein. Ich weiß, dass wir die Dinge, wie sie jetzt sind, hinterfragen und eine bessere Welt schaffen können – natürlich ist das möglich.“
Ein unternehmerischer Ansatz
Carmens Optimismus ist ideal für eine Person, die so große Ziele hat. Aber sie ist nicht nur Optimistin, sondern hat immer hart daran gearbeitet, mit einer unternehmerischen Strategie bessere Ergebnisse zu erzielen. Wichtig war für sie dabei, dass meist andere Frauen an ihrer Seite standen. „Ich kann mich glücklich schätzen. Fast überall, wo ich gearbeitet habe, war mein Chef eine starke Frau.“
Im Laufe ihrer Karriere entfaltete Carmen ihr ganzes Potenzial und bekleidete Führungspositionen in sozialen Unternehmen wie der Avina Foundation und Endeavor Uruguay, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wenn sie über ihre Karriere nachdenkt, sind es jedoch nicht die Führungspositionen, die ihr am wichtigsten sind, sondern die Anfangszeit, als sie mitgeholfen hat, ein Unternehmen aufzubauen – das ist es, was sie zum Strahlen bringt.
„Frauen können nicht nur ihre eigenen Lebensumstände verändern, sondern auch die der Menschen in ihrem Umfeld.“
„Bei Initiativen von Anfang an dabei zu sein, ist natürlich schwierig, aber man lernt dabei, nach alternativen Wegen zu suchen, um seine Ziele zu erreichen.“ Die hierdurch gewonnene Stärke kann sie bei ihrer täglichen Arbeit mit Frauen in Lateinamerika gut gebrauchen. „Die Lebenswirklichkeit von Frauen ist heute eine ganz andere und auch die Bedürfnisse sind nicht mehr die gleichen. Wir müssen die verschiedenen Formen von Diskriminierung und ihre Interdependenzen berücksichtigen, um die richtigen Instrumente und Dienstleistungen zur Unterstützung aller dieser Gruppen zu entwickeln.“
Für alle Frauen
Carmen arbeitet seit 2017 bei Pro Mujer, einer Organisation, die sich für die Geschlechtergleichheit in Lateinamerika einsetzt. In den letzten fünf Jahren hatte sie verschiedene Führungspositionen inne und ihre kürzliche Ernennung zur CEO war für jemanden mit einer so kühnen Vision nur eine Frage der Zeit. „Wir bieten benachteiligten Frauen finanzielle Hilfen, Qualifizierungsmöglichkeiten und Gesundheitsdienste, damit sie ihr Potenzial voll ausschöpfen und zu einem gesellschaftlichen Wandel beitragen können.“
Carmen versorgt Frauen mit den Ressourcen und Informationen, die sie brauchen. Dabei hat sie festgestellt, wie mächtig Frauen sind, wenn es darum geht, neue Chancen für sich und ihre Community zu erschließen. Dieser Multiplikatoreffekt ist der Motor, der Pro Mujer antreibt. „Wenn wir das Leben einer Frau verändern können, verändern wir gleichzeitig auch das ihrer Familie und die Gegebenheiten in der Region, in der sie lebt. Solche Veränderungen überdauern Generationen.“
Eine generationenübergreifende Einflussnahme ist ein ehrgeiziges Ziel – doch selbst damit gibt Carmen sich nicht zufrieden. Ihre Vision lautet: „Wir wollen alle erreichen.“ In diesem Sinne möchte sie mit ihrem Team ihr Unternehmen noch weiter ausbauen. „Ich versuche immer, in Bewegung zu bleiben und mich weiterzuentwickeln.“
Der lange Weg zur Chancengleichheit
Carmen ist sehr stolz auf ihre Arbeit und darauf, wie weit ihr Team gekommen ist. Sie weiß aber auch, dass sie noch lange nicht am Ziel sind. „Wir arbeiten hart für die Gleichstellung, aber es gibt noch viel zu tun.“ Wo andere jedoch Schwierigkeiten sehen, sieht sie Chancen und lässt sich nicht entmutigen.
Dabei sind es die Frauen, für die sich Pro Mujer einsetzt, die ihr die Kraft geben, weiterzumachen. „Sie sind diejenigen, die für ihren eigenen Erfolg verantwortlich sind. Für mich sind sie Kriegerinnen. Jeden Tag machen sie sich auf den Weg und kämpfen für Veränderungen.“ Und diese Veränderungen hat sie mit eigenen Augen gesehen.
„Egal, was du tust: Berücksichtige auch die Bedürfnisse der anderen.“
Sie erinnert sich an den Besuch bei einer Frau, die ein Töpfergeschäft in Nicaragua besitzt. Diese berichtete Carmen von neuen Stühlen, die sie kürzlich mit der Unterstützung von Pro Mujer gekauft hatte: „Sie erklärte mir, wie der Kredit es ihr ermöglicht hatte, ihr Unternehmen auszubauen. Es ist ein Kleinstunternehmen, aber sie sorgt damit für ihren Lebensunterhalt und für die Mahlzeiten in der Familie. Der Kauf dieser Stühle hat ihren Lebensstandard erhöht.“
Wenn sie Zeit mit diesen Frauen verbringt und sich ihre Geschichten anhört, wird sie daran erinnert, dass auch relativ kleine Dinge eine große Wirkung haben können. Sie orientiert sich immer an folgendem Grundsatz, den sie auch an andere weitergibt: „Egal, was du tust: Berücksichtige auch die Bedürfnisse der anderen.“
Fotos von Gabriella Rouiller
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John Callery
Mit Technologie die psychische Gesundheit der Gesellschaft stärken
Technologie und psychische Gesundheit erscheinen möglicherweise als seltsame Paarung. John Callery sieht künstliche Intelligenz jedoch als Chance, wie sich Menschen in Krisensituationen gegenseitig helfen können. Als Chief Product & Technology Officer bei ReflexAI stellt er einer wachsenden Zahl von Menschen lebensrettende Technologie zur Verfügung.
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John Callery war schon immer von Technologie fasziniert. „Schon in jungen Jahren interessierte ich mich für Technologie und Computer.“ An seine High-School-Zeit erinnert er sich mit Dankbarkeit. „Ich hatte das Glück, ein Internat in Santa Barbara zu besuchen. Das war eine ideale Umgebung für mich, in der ich interessante Dinge in kleinem Rahmen ausprobieren konnte.“ Dort erlebte er den Beginn einer neuen technologischen Ära – ob er nun die Computer von Mitbewohnern reparierte oder Server für die Projekte anderer Schüler baute.
Es erscheint nur logisch, dass seine Leidenschaft schließlich zur Gründung eines kleinen Unternehmens führte. In der Abschlussklasse der High School leitete John bereits ein E-Commerce-Unternehmen für Webhosting. „Ich hatte weltweit 500 Kunden. Nicht dass ich damit Millionen Dollar verdient hätte, aber ich konnte einen Großteil meiner Ausgaben decken.“ Damals ahnte er wahrscheinlich noch nicht, dass sich auch seine Erfahrungen später durchaus bezahlt machen würden.
Pionier mit Leidenschaft für gesellschaftlichen Wandel
Nach seinem Abschluss an der University of San Diego begann er dort als Webentwickler zu arbeiten. Dieser Ort hat eine besondere Bedeutung für ihn, weil er dort in der Cafeteria seine Verlobte kennenlernte. Josh arbeitete ebenfalls an der Universität und engagierte sich ehrenamtlich beim Trevor Project, einer gemeinnützigen Initiative für Krisenintervention und Suizidprävention für LGBTQ+ Jugendliche. „Josh half beim Chat- und SMS-Dienst des Projekts mit und ich begann, mich für seine Arbeit zu interessieren.“
„Ich kann mich glücklich schätzen, so ein starkes Netzwerk an Unterstützern zu haben. Das hat einen großen Anteil an meinem heutigen Erfolg. Ich wusste immer, wohin ich mich wenden konnte, wenn ich Hilfe brauchte.“ John ist sich aber bewusst, dass zu viele Menschen solche Erfahrungen nicht machen konnten und deshalb nicht wissen, wie sie anderen helfen können.
Das Trevor Project wurde schnell zu seiner Leidenschaft. Anfangs noch ehrenamtlich tätig, übernahm er schließlich die Vollzeitfunktion als Senior Vice President. „Ich bekam so die einmalige Chance, alles, was ich in der Privatwirtschaft gelernt hatte, in einer Nonprofit-Organisation anzuwenden.“
„Einige der Leitlinien in unseren Schulungen für Berater in der Krisenintervention geben wir nun an die Veteranen selbst weiter, damit sie sich gegenseitig besser unterstützen können.“
So kam er in Kontakt mit Google-Initiativen wie dem Google.org Fellowship-Programm und der AI Impact Challenge und arbeitete eng mit dem späteren ReflexAI-Mitbegründer Sam Dorison zusammen. „Gemeinsam waren wir für die Konzeption und Entwicklung eines KI-Triage-Modells verantwortlich, mit dem Jugendliche mit dem höchsten Risiko für eine akute psychische Krise vorrangig einen Beratungstermin bekommen sollten.“ Aber zu einem noch größeren Durchbruch kam es später, nachdem sich gezeigt hatte, wie die neuesten Large-Language-Modelle bei der Lösung eines noch dringenderen Problems zu helfen. Anstatt nur die Priorisierung zu optimieren, konzentrierten sich John und sein Team auf Schulungen und darauf, mehr Berater für das System zu gewinnen.
Um die benötigte Anzahl an Beratern an Bord zu holen, hätten sie Hunderte von Koordinatoren einstellen müssen, die Schulungen für jeden potenziellen neuen ehrenamtlichen Mitarbeiter planen und durchführen – keine sehr praktikable Lösung. „Wir simulierten mithilfe von Large-Language-Modellen ein Trainingsgespräch mit einem jungen Menschen in einer Krisensituation und konnten so noch schneller mehr Berater schulen und einstellen.“ Inzwischen wurden mit diesen Gesprächsmodellen bereits Tausende Berater geschult.
Veteranen mit Technologie unterstützen
Dieser Ansatz hatte sich mittlerweile als sehr wirkungsvoll erwiesen, und John und Sam sahen eine Chance, ihn noch weiter auszubauen. „Wir waren auf der Suche nach Möglichkeiten, diese Technologie auch andernorts einzusetzen. Als wir von der Aktion „Mission Daybreak“ des U.S. Department of Veterans Affairs (US-Behörde für die Belange von Veteranen) hörten, bewarben wir uns mit einer ähnlichen Schulungsform für den Ausbau der Veteran Crisis Line.“
Die Veteranen-Community hat einen großen Bedarf an Tools und Schulungen im Bereich Suizidprävention. Laut des U.S. Department of Veterans Affairs nahmen sich im Jahr 2020 6.146 Veteranen das Leben. Zwar geht diese Zahl Jahr für Jahr zurück, aber die Suizidrate unter Veteranen liegt immer noch um 57,3 % über derjenigen der übrigen erwachsenen Bevölkerung in den USA.
„Bei Daybreak haben wir Dutzende von Veteranen interviewt. Dabei zeigte sich, dass sich Veteranen in Krisen häufig gegenseitig um Hilfe bitten.” Die Verbindung dieser neuen Erkenntnisse mit früheren Erfahrungen führte zur Gründung von ReflexAI. John erläutert: „Einige der Leitlinien in unseren Schulungen für Berater in der Krisenintervention geben wir nun an die Veteranen selbst weiter, damit sie sich gegenseitig besser unterstützen können.“
ReflexAI arbeitet daran, das Spektrum der Organisationen auszuweiten, die von diesen Tools profitieren können. „Es gab zahlreiche Berichte über Large-Language-Modelle in den Medien, aber diese Revolution könnte noch viel größere Auswirkungen auf wichtige Bereiche wie das Gesundheitswesen, die Krisenintervention und Rettungsdienste haben. Deshalb haben wir Reflex ins Leben gerufen.“
Weitere Communities in Not
Dieser Community-Ansatz für psychische Gesundheit ist das Herzstück von Callerys Arbeit und er hofft, ihn in Zukunft auf weitere gesellschaftliche Gruppen ausweiten zu können. Im Hinblick auf das große Ganze sieht John Fortschritte. „Das Thema psychische Gesundheit geht heute jeden an. In unserer Gesellschaft wurden in letzter Zeit viele positive Diskussionen über psychische Gesundheit geführt, aber für eine Entstigmatisierung sind weitere Schritte erforderlich.“
Überall wo er Erfolge sieht, sieht er aber auch weiteren Bedarf. „Remote-Interaktionen nehmen immer mehr zu, und die 988 Lifeline ist das beste Beispiel für diese Entwicklung, denn sie hat die Erwartungen an das Wachstum weit übertroffen.“ Ein Bericht der Substance Abuse and Mental Health Administration (Behörde für Drogenmissbrauch und psychische Gesundheit) zeigt, dass im Dezember 2022 die Zahl der über die Lifeline beantworteten Anrufe im Vergleich zum Dezember 2021 um 48 %, die Zahl der beantworteten Chats um 263 % und die Zahl der beantworteten SMS um enorme 1.445 % gestiegen ist. Die Menschen brauchen Hilfe, und ReflexAI steht dafür bereit.
Fotos von Alex Palumbo
Weitere Leaders to Watch
Kristian Rönn
Bilanzierung für die Zukunft des Planeten
Kristian Rönn möchte Unternehmen helfen, ihren CO₂-Ausstoß zu messen, zu verwalten und zu reduzieren. Mit seiner schnellen Auffassungsgabe und einer philosophischen Herangehensweise hinterfragt er die Ansichten unserer Zeit über verantwortungsvolle Geschäftspraktiken. Als Mitbegründer und CEO von Normative entwickelt er außerdem Tools, mit denen Unternehmen jeder Größe ihre Nachweispflichten erfüllen und geeignete Maßnahmen ergreifen können.
Lesedauer fünf Minuten
Wenn Kristian Rönn sein Unternehmen vorstellt, erklärt er, dass der Name Normative für die neue Norm steht, die dort in Bezug auf die CO₂-Bilanzierung definiert wird. Das ist eine außerordentlich wichtige Arbeit. Auf weitere Nachfragen erklärt Kristian, dass der Name auch auf den Zweig der Philosophie zurückgeht, der sich mit moralisch richtigem Verhalten beschäftigt: die normative Ethik.
„Mir war es immer sehr wichtig, mich in meinem Leben nach meinen Werten zu richten.“ Kristian erinnert sich gerne daran, wie er in jungen Jahren einen kleinen Streichelzoo auf dem schwedischen Land besucht hat. „Aber irgendwann wurde mir klar, dass das Fleisch, das ich esse, von solchen Tieren stammt und ich mit meinem Konsum zu ihrem Leid beitrage.“ Nach einer eingehenden Internetrecherche formulierte er seine Lebensphilosophie schließlich so: „Mein wichtigstes Anliegen ist die Maximierung des Wohlergehens aller fühlenden Wesen.“
Durch das Internet und die Philosophie lernte er, die Welt mit neuen Augen zu betrachten. Sein Interesse erstreckt sich von Mathematik und Physik bis zu politischen und ethischen Fragen. „Es hat mir die Augen geöffnet, als ich erkannte, dass unser heutiges Handeln das Wohlergehen von Milliarden von Menschen in der Zukunft beeinflussen wird.“
Vom Denken zum Handeln
Entschlossen, einen positiven Einfluss auf zukünftige Generationen zu nehmen, begann Kristian, Politikwissenschaften zu studieren. Es wurde ihm jedoch schnell klar, dass das nicht das Richtige für ihn war. „Ich belegte mehr oder weniger alle Einführungskurse, aber war einfach nicht zufrieden.“ Schließlich entschied er sich für ein Studium der Mathematik und Philosophie. „Philosophie, weil sie Fragen darüber stellt, was wir in der Gesellschaft verbessern wollen; Mathematik, weil sie sich damit beschäftigt, wie wir diese Verbesserung tatsächlich durchführen können.“
Diese Kombination aus Abstraktion und konkretem Handeln führte ihn schließlich bis an die University of Oxford. Nach seinem Abschluss arbeitete er am Future of Humanity Institute, einem Forschungszentrum, das sich mit den großen Fragen der menschlichen Zivilisation beschäftigt. Dort wurden ihm die katastrophalen Folgen der Klimakrise bewusst, und er beschloss, aktiv etwas dagegen zu unternehmen. „Ich wollte den verantwortlichen Entscheidungsträgern verwertbare Erkenntnisse für die Entscheidungsfindung liefern.“
Angesichts der klaren Klimaziele, die damals festgelegt wurden, dachte er: „Es muss doch eine Möglichkeit geben, dass Unternehmen ihren CO₂-Ausstoß ähnlich wie ihre Finanzzahlen ausweisen. So etwas gab es aber nicht. Deshalb wollte ich diese Möglichkeit schaffen, obwohl ich so gut wie keine Erfahrung mit der Gründung eines Unternehmens oder mit Softwareentwicklung oder irgendetwas in der Art hatte.“
Die neue Norm definieren
Normative ist das weltweit erste Tool für die CO₂-Bilanzierung. Es steht für die nächste Generation dieser Bilanzierungsmethode. Das „Interesse der Stakeholder“ wird dabei neu definiert: Es bezieht sich nicht nur auf den Profit, sondern auch auf das Wohlergehen und die Langlebigkeit der Zivilisation. Das Tool basiert auf den Mechanismen der Bilanzierung und auf Kristians Überzeugung, wie die Gesellschaft auf den Klimawandel reagieren sollte. „Letztendlich ist die Bilanzierung reine Fiktion. Wir gehen immer davon aus, dass das Wohl der Gesellschaft von der Profitmaximierung abhängt. Dieses gesamte gewinnorientierte Konzept beruht jedoch auf willkürlicher Arithmetik und ließe sich neu definieren.“
Genau an dieser Neudefinition arbeiten wir. „Normative hilft Unternehmen, ihre CO₂-Bilanz zutreffend zu berechnen und liefert umsetzbare Informationen für das Ziel Netto-Null-Emissionen.” Man kann sagen, dass die Unternehmen auf dem richtigen Weg sind: Mit dem Business Carbon Calculator hat Normative mehr als 2.600 kleinen und mittleren Unternehmen geholfen, ihre Emissionen zu berechnen. Dabei wurden über 7,2 Millionen Tonnen CO₂ in 80 Ländern gemessen. Für eine zutreffende Emissionsbilanz der Unternehmen wurde dafür die Analyse von Millionen von Rechnungen automatisiert durchgeführt. Anhand der ermittelten Daten können die Unternehmen dann feststellen, welche Kategorien und Lieferanten die größten Auswirkungen auf das Klima haben, sodass sie ihre Aktivitäten auf diese Bereiche konzentrieren können.
Wir gehen immer davon aus, dass das Wohl der Gesellschaft von der Profitmaximierung abhängt. Dieses gesamte gewinnorientierte Konzept ließe sich jedoch neu definieren.“
Das vorrangige Ziel ihrer Arbeit ist eine korrekte CO₂-Bilanzierung, denn sie haben aufgedeckt, dass die Unternehmen ihre Emissionen nicht korrekt melden. „Die Abweichung von den korrekten Werten liegt zwischen 40 und 80 %, was bedeutet, dass die Netto-Null-Ziele vieler Unternehmen auf nur einem Zehntel ihrer gesamten CO₂-Bilanz beruhen.“
Das sind beunruhigende Aussichten: „Ich befürchte, dass in 20 Jahren Unternehmen bekannt geben werden, ihre Netto-Null-Ziele oder CO₂-Neutralität erreicht zu haben, aber dass die globalen Emissionen trotzdem steigen.“
Der Weg zu Netto-Null
Genauigkeit und Standardisierung werden die nächsten großen Herausforderungen auf dem Weg zu Netto-Null sein. Kristian erklärt, dass die Vereinten Nationen und ihre Mitgliedsländer sich zwar zur Einhaltung neuer Regelungen verpflichtet haben, aber auch Normen für die genaue Messung und Berechnung festlegen müssen.
„Derzeit werden viele Verordnungen zur Offenlegung der CO₂-Bilanz erlassen.“ Aber, so Kristian weiter: „Damit diese Daten einen Nutzen haben, benötigen wir eine standardisierte CO₂-Bilanzierung. Eine standardisierte Offenlegung allein reicht nicht aus. Wir sind also in einer Situation, in der wir das Äquivalent der Gewinn- und Verlustrechnung standardisiert haben, aber wir haben noch nicht die doppelte Buchführung umgesetzt, die zur Vergleichbarkeit der Ergebnisse führt.“
Kristian fügt hinzu: „Ein Alleinstellungsmerkmal von Normative ist, dass wir genauer sind als alle anderen. Wenn die Behörden Vorgaben für die Messung und Berechnung erlassen, dann müssen alle gleichermaßen genau arbeiten. Das fände ich ganz klar besser.“
Fotos von Yamandu Roos
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